Pünktlich wie abgemacht um 6 Uhr kam Hamit ins Hotel und nach einem türkischen Kaffe fuhren wir in seinem Schotterpistentauglichen Auto los. Die ersten 3km der Strecke waren noch asphaltiert, danach legten wir 25km auf zum Teil einer äusserst holprigen Naturstrasse bis zur Abzweigung nach Radomirë zurück. Die Strecke führt hoch über der Schlucht des Flusses Drini i Zi. Während wir unterwegs waren, tauchten die ersten Sonnenstahlen die Berglandschaft und die Nebelfetzen im Tal in ein äusserst schönes Licht - wie lange wird es wohl noch gehen bis Albanien zum neuen Trekkingmekka wird? Nach einer Schluchtüberquerung erreichten wir bald die besagte Abzweigung und fuhren danach in einigen Serpentinen hoch nach Radomirë bis zur kleinen Dorfbeiz wenige hundert Meter oberhalb des Dorfes. Für die ganze Fahrt brauchten wir wegen den Strassenverhältnissen fast 90 Minuten. Nochmals tranken wir ein Kaffee und Hamit machte sich auf den Weg zurück nach Peshkopi zur Arbeit.
In der kleinen Dorfbeiz wo sich Schafhirten treffen, erzählte man mir dass sonst noch einige Ausländer im Dorf sind die ebenfalls auf den Gipfel wollten. Also wartete ich noch 20 Minuten und sah dann eine voll bepackte Gruppe draussen stehen. Die jungen Bergsteiger kamen aus Tschechien und wollten die Nordroute über Fusha Korabit nehmen und dort irgendwo im Zelt übernachten. Ein Hirte zeigte uns die Richtung und wir wanderten zusammen los. Doch schon nach den ersten paar 100m entschied ich mich alleine zu gehen da die Tschechen sehr langsam aufstiegen und immer wieder stehen blieben um die Richtung zu besprechen. Ich folgte auf kaum sichtbaren Spuren entlang einem Bachbett, danach stieg ich eine Grashang hinauf als ich plötzlich 10m oberhalb Hirten sah die mir zuwinkten. Ich kannte sie schon von der Dorfbeiz und sie boten mir an, auf einem ihrer Pferde mit ihnen zusammen auf die Alp hoch zu reiten. Ausser vor Jahren zusammen mit einer vergangenen Liebschaft welche auf einem Bauerhof wohnte, war ich noch nie auf einem Pferd gesessen. Die Prüfung meisterte ich aber gut und fiel nur einmal aus dem Sattel, die Hirten amüsierten sich köstlich ab mir. So ritten wir durch den nebligen Bergwald hinauf bis sich plötzlich bei den obersten Bäumen auf etwa 1750m das Panorama über der Nebelbank öffnete. Auf dem Pferd ging es dann noch zu einem kleinen Plateau, die Höhe schätze ich knapp 1900m. Dort stellte ich fest, dass ich meine Karte unterwegs verloren habe. Ich fragte einen Hirten nach der Alp Fusha Korabit und er meinte die sei auf der anderen Seite, nördlich des hohen Grates. Irgendwie war die Situation ärgerlich, aber ich wollte den Gipfel unbedingt erreichen. Vor meiner Reise habe ich auch nie von einem Aufstieg durch die Südflanke gelesen, aber immerhin schien es möglich denn ein Hirte zeigte mit den Gipfel am Talabschluss mit der Wolkenkappe und ich bin ja geübt in schwierigem, weglosen Gelände. Ich wanderte zuerst über die nächste Steilstufe auf einem Saumpfad zu einer grösseren Ebene auf 2000-2100m wo viele Schafe weideten. Auf 2150m begann ich dann den steilen Aufstieg nach links oben über eine immer steiler werdende Grasflanke, geradeaus würde man zum Pass Portat e Korabit / Мала Корапска Врата (Mala Korapska Vrata; ~2450m) der die Grenze zu Mazedonien bildet. Übrigens heisst der Gipfel südwestlich des Passes auf Mazedonisch gleich wie der Pass selbst! Auf etwa der gleichen Höhe wie der Pass begann ein steiles Geröllfeld das sich zum markanten Felsgürtel hin verengte und nach einem Durchschlupf aussah. Der Aufstieg war recht mühsam, doch musste ich nur einmal ein wenig die Hände zum Kraxeln gebrauchen. Dank der Steilheit kam ich schnell höher und stand bald oberhalb der Felsen. Über weitere 100 Höhenmeter steiles Gras gelangte ich auf den obersten Südgrat zwischen einer grasigen Gratkuppe und dem Hauptgipfel. Ich folgte etwas dem Gratrücken und entdeckte eine mazedonische Bergwegmarkierung, jetzt war ich mir erst ganz sicher auf dem richtigen Weg zu sein, da ich ja keine topografische Karte mehr dabei hatte und immer wieder Nebel aufzog der mir Sicht raubte. Eine zweite Wegmarkierung folgte und ich erkannte plötzlich den grossen Grenzstein auf dem Gipfel den ich von Fotos her schon kannte. Glücklich machte ich eine sehr ausgiebige Gipfelrast bei eher nebligem Wetter auf den Maja e Korabit / Голем Кораб (Golem Korab). Immer wenn sich die Wolken wieder kurz verzogen, machte ich Fotos vom Panorama. Auf dem Gipfel entschloss ich mich, besser auf der Aufstiegsroute abzusteigen, da ich diese nun kannte und der Nebel eher zunahm. Schnell gelangte ich wieder hinunter auf die Schafweide und wanderte Tal auswärts bis ich wieder auf den Saumpfad kam. An einem schönen Aussichtspunkt machte ich nochmals Rast, danach folgte ich dem Weg bis zur Beiz am Ausgangspunkt. Die Hirten freuten sich mich hier wieder zu sehen, zudem Sprach mich ein Jüngerer aus dem Dorf mit perfektem Englisch an. Er arbeitet die meiste Zeit im Jahr in England, kommt aber immer wieder nach Hause in sein Dorf. Sein Kollege rief mit dem Mobiltelefon zu Hause an und bald kam sein Bruder mit einer Platte Schafkäse und frischem Gemüse vorbei. Wir assen zusammen, tranken Bier und so verstrich die Zeit im Nu bis Hamit auftauchte. Während es Nacht wurde fuhren wir wieder nach Peshkopi, zurück blieb die schöne Bergwelt mit seinen liebenswerten Menschen.
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